Soziales Netzwerken außerhalb des Internets

OmaJuni2019

Auf diesem Foto siehst du meine Mutter (82) , wie sie das Grab meines Vaters, der 2001 gestorben ist, auf Hochglanz bringt. In all den Jahren durfte ich nie etwas darauf legen oder etwas daran machen. Auch gestern nicht und so habe ich zu geschaut und mich mit ihr unterhalten. Ganz normal, als gäbe es die Diagnose, die vor drei Monaten gestellt wurde, nicht.

Meine Mutter möchte nicht, dass ihre Freunde, Familie und Bekannte von ihrer Erkrankung zu diesem Zeitpunkt erfahren, sie denkt, es reicht wenn sie es selber merken. Und so wissen nur eine Handvoll Menschen aus ihrem engerem Umfeld davon . Gestern war für sie ein guter Tag und da führt sie ihr erster Weg am Morgen zu ihrem Mann.

Ich bin in sozialen Netzwerken unterwegs und auch in der ein- oder anderen Gruppe. Gestern durfte ich lernen, dass auch meine Mutter in einem sozialen Netzwerk unterwegs ist, dass ganz ohne Internet und Handys auskommt. Auch sie ist in einer Gruppe, in der sich die Mitglieder nur namentlich kennen, einander zuhören, mit einander lachen und sich unterstützen.

Nenen wir sie die Friedhofs–Gruppe.

Mitglieder aller Altersstufen treten ihr mehr oder weniger unfreiwillig bei. Diese Mitglieder achten auf einander. Beim Einkaufen vor ein paar Wochen ist mir das schon aufgefallen. Dass mich wildfremde Leute ansprachen, sie hätten meine Mutter länger nicht auf dem Friedhof gesehen, ob alles in Ordnung sei.

Gestern ging es ihr sehr, sehr gut. Viele die sie am Grab meines Vaters sahen, kamen vorbei und freuten sich wirklich sie zu sehen. Man unterhielt sich und mit einem Blick auf mich, sagten die, die mich nicht kannten .“ Ah , sie sind die Tochter. Ihre Mutter erzählt viel von ihnen .“ Die Herrschaften siezen sich, gehen respektvoll miteinander um und wie im Fall meiner Mutter, wurde das Grab meines Vaters einfach mit versorgt, wenn meine Mutter nicht zu ihrer Zeit vor Ort war. Denn es gibt einen mehr oder weniger täglich Ablauf, wann wer hier vorbei kommt und fehlt einer, dann wird er wirklich vermisst. Sie tauschen keine Adressen aus, besuchen sich nicht und kennen sich vom Name, aber ganz bestimmt vom Sehen.

Ich traf eine Nachbarin aus Kindertagen, am Gießkannentreffpunkt. Sie erzählte mir, dass sie ihre Mutter jeden Tag besucht, da diese blind sei und sie deshalb auch den Friedhofskram macht. Meine Mutter hätte sie länger nicht gesehen, schön dass sie wieder da ist. Wir sprachen über unser Leben.Wie sich herausstellte, sind wir beide seit Jahren alleinerziehend und haben beide kein gutes Verhältnis zu unseren Müttern. Verabschiedet haben wir uns mit den Worten, dann sehen wir uns diesen Sommer sicher öfter.

Da meine Mutter noch mit unserem Grab beschäftigt war, habe ich spontan die Blumen auf einem verwahrlosten Grab gegossen und zurecht geschnitten. Am Grab meines Vaters hatte ich bis gestern „Arbeitsverbot“ . Doch konnten wir uns darauf einigen, dass ich morgens, vor der Arbeit, in diesem Sommr gießen kommen darf. Es gibt eine Menge Regeln beim Gießen zu beachten – lach – aber ich glaube ich schaffe das. Blumen gießen kann ich schon.

Ich gehöre jetzt auch zur Friedhofs-Gruppe.

Als wir über den Friedhof in Richtung Ausgang gingen, trafen wir einen Mann, der im Grünabfall wühlte. Er suchte die noch gut erhaltenen Blumen raus. Eine stand noch in voller Blüte, die andere war teilweise vertrocknet. Von dieser pflückte er sich die Samen ab . Auf meine Frage ob er das öfter macht, antwortete er. Klar, ich ziehe mir aus den Samen meine eigenen Pflanzen und diese ( er zeigte auf die voll erblühte) setze ich mir in den Garten. Möchte sie auch Samen pflücken ? Er drückte mir den Topf in die Hand. Ich beschloss sie mit zu nehmen, sie zu wässern und ihr einen Platz auf meinem Balkon zu geben. Und natürlich Samen daraus zu ziehen ( wenn das mal klappt).

Ein Gedanke zu „Soziales Netzwerken außerhalb des Internets

  1. Verdammt gut geschrieben, und ja, so ist das Friedhofsleben, bei uns waren es die Freitage, evt nur Lämpchen anmachen, manchmal mehr Pflege, Stein schrubben, Unkraut zupfen, gießen…..
    Wir sehen uns, zu nicht zu viel bei den Temperaturen
    M.

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